Viele Besucher*innen werden ihn schon verspürt haben – den Hauch von asiatischer Steppe beim Durchwandern des Seewinkels, wenn man etwa inmitten der Sodalacken im Gebiet der Langen Lacke stand. Das kommt nicht von ungefähr, denn Sodaseen sind weltweit ein sehr seltener Lebensraum, dessen Schwerpunkt in einem schmalen Gürtel liegt, der sich quer durch die Trockengebiete Eurasiens zieht. Die Sodalacken des Seewinkels bilden das westlichste europäische Vorkommen dieses besonderen Lebensraums mit seinen hochspezialisierten Tieren und Pflanzen.
Nicht ohne Grund gilt der Seewinkel als Vogelschutzgebiet von internationaler Bedeutung: Neben spezialisierten Brutvögeln wie Seeregenpfeifer oder Säbelschnäbler nutzen vor allem zahllose Durchzügler die Lacken als Rastplatz auf ihrem Weg zwischen ihren Brutgebieten im Norden und den Überwinterungsgebieten. Salzlebensräume im Binnenland können auch global gesehen nur in Gebieten mit sehr speziellen Voraussetzungen hinsichtlich Geologie, Klima und Hydrologie entstehen; ihre Existenz hängt vom Zusammenwirken dieser und weiterer lokaler Faktoren ab. Somit sind Sodalacken zwar einerseits sehr beständige Lebensräume solange ihre ursprünglichen Entstehungsbedingungen fortbestehen, aber andererseits auch besonders anfällig gegenüber menschlichen Eingriffen. Obwohl Zoolog*innen und Botaniker*innen schon Mitte des 20. Jahrhunderts begannen, die Flora und Fauna der Seewinkel-Lacken intensiver zu erforschen, wurde deren genaue Funktionsweise erst in den frühen 1990er Jahren aufgedeckt. Es zeigte sich damals, dass die Lacken sehr viel stärker von den Wasserverhältnissen im Untergrund abhängig sind als bis dahin angenommen wurde.
Salz und Wasser
Nur bei ausreichenden Grundwasserständen zum richtigen Zeitpunkt funktioniert einerseits die kontinuierlich notwendige Zufuhr von Salzen aus dem Untergrund, und bleibt andererseits durch die Durchfeuchtung auch der Untergrund der Lacke dicht. Bleiben die Salze aus, wird die typische salztolerante Vegetation zunehmend von anderen Pflanzen verdrängt, die rasch den Lackenboden bewachsen und so Änderungen im Mikroklima und in der Wasserdurchlässigkeit bewirken. Die Lacke wird „inkontinent“, kann also Regenwasser nicht mehr (so gut) halten.
Im Detail handelt es sich dabei um verschiedene, miteinander verwobene Prozesse. Das Endergebnis ist aber eindeutig: Die tiefgreifenden Veränderungen des Wasserhaushalts im Seewinkel durch verschiedenste menschliche Eingriffe haben dazu geführt, dass im Verlauf der letzten 150 Jahre der Großteil der ursprünglich vorhandenen Sodalacken unwiederbringlich verlorengegangen ist. Schon seit der Wende zum 20. Jahrhundert ist ein „Lackensterben“ im Gange, das derzeit rapide auf das unweigerliche Verschwinden sämtlicher Sodalacken aus dem Seewinkel zusteuert.
Eine verhängnisvolle Entwicklung
Hotterpläne aus den Jahren 1855–1858 sind die genauesten Karten, die uns die damalige Verteilung und Zahl der Lacken abschätzen lassen: Von zumindest 139 Gewässern mit einer Gesamtfläche von ca. 36 km² sind im Jahr 2020 bestenfalls 30 halbwegs intakt, die zusammen nur mehr eine Fläche von 4– 5 km² bedecken, je nachdem wie man den aktuellen Zustand bewertet. Drei Viertel aller Lacken sind also verschwunden, im besten Fall ist noch 15 % der ursprünglichen Wasserfläche vorhanden. Und der Zustand der meisten noch vorhandenen Sodalacken lässt deren Verschwinden innerhalb der nächsten 10-20 Jahre annehmen.
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Das Lackensterben lief dabei in mehreren Phasen ab, die sich zeitlich mit der Entwicklung der menschlichen Nutzung des Seewinkels decken: Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis ungefähr 1970 herrschte eine lange Phase der „Urbarmachung“ des Lackengebiets. In diese Zeit fällt (nach früheren gescheiterten Versuchen) auch der Plan, den Neusiedler See selbst vollständig trocken zu legen, was durch die Errichtung eines künstlichen Abflusses gelingen sollte. Dieser Einserkanal senkte den Pegel des Neusiedler Sees in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts drastisch und ermöglichte in der Folge die Errichtung eines Netzes an Entwässerungskanälen im gesamten Seewinkel und im angrenzenden ausgedehnten Niedermoor Hanság. Viele, auch große Lacken, vor allem in den Gemeinden Andau, Tadten, Wallern, Pamhagen und Podersdorf konnten so durch Drainagen vollständig trockengelegt und einer landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt werden. An sie erinnern heutzutage nur mehr entsprechende Flurnamen wie „Dorfseewiesen“ oder „Loblergrund“ wo einstmals bis in die 1950er und 1960er Jahre mit dem Dorfsee und dem Loblersee große Gewässer bestanden.
Der Verlust etlicher Lacken
Mit dem beginnenden Bauboom der 1960er Jahre fielen zusätzlich etliche große Lacken in der nördlichen Schotterflur des Seewinkels der Einrichtung von Schottergruben zum Opfer wie z. B. die Grundlacke bei Podersdorf und die Pimetzlacke bei Frauenkirchen, deren ehemaliger Standort heute von der Seewinkeltherme eingenommen wird. In einer weiteren Phase ab den 1960er Jahren gingen durch ortsnahe Entwässerungs-Maßnahmen wie z. B. Absenkbrunnen zahlreiche größere und kleinere Lacken im Nahbereich von Ortschaften verloren. Dazu zählen etwa Hulden-, Gansl- und Baderlacke rund um Sankt Andrä, Oberer und Unterer Schrändlsee, Pfarr, Feld- und Kirchsee bei Illmitz, die Hollabernlacke bei Apetlon und die Karmaziklacke bei Podersdorf.
In einer vierten Phase gingen ab den 1970er Jahren auch viele Lacken in der freien Feld- und Wiesenflur verloren bzw. begann ihre rasche Degradierung. Lacken wie die Szerdahelyer Lacke, Götschlacke, Moschadolacke, Sóstó (Salzsee), Haidlacke, Krainerlacke und Kipfellacke (Lacke 29) sind heute nur mehr Vogelkundler*innen bekannt, die bereits in den 1970er und 1980er Jahren im Gebiet unterwegs waren. In den letzten drei Jahrzehnten ist das Lackensterben vor allem während der oft mehrjährigen Trockenphasen vorangeschritten; die zuletzt genannten Lacken verschwanden im Zuge von Trockenphasen in den frühen 1970ern sowie in den Jahren 1984–1985, 1989–1991 und 2002–2007.
Aktuelle Situation
Es sieht so aus als ob die rezente, nach wie vor andauernde Trockenphase ab 2019 neben weniger bekannten Lacken wie Albersee, Neufeld- und Stundlacke auch einen prominenten Abgang fordern würde: Die Lange Lacke lag zwar bereits in früheren Trockenphasen teilweise über mehrere Jahre lang trocken, hatte sich aber in den darauffolgenden Hochwasserphasen wieder regenerieren können. Aktuell ist hier allerdings eine dramatische Entwicklung im Gange: der Westteil der Lacke führt seit 2017 kein Wasser mehr und ist mittlerweile vollständig (und zum Teil mit Neophyten) zugewachsen.
Auch große Teil des etwas tiefer gelegenen Ostteils liegen seit drei Jahren trocken und wachsen rasch zu. Da sich die Entwicklung an der Langen Lacke stark von der Situation in den bisherigen Trockenperioden unterscheidet, ist zu befürchten, dass auch die noch bestehenden Teile in wenigen Jahren verschwunden sein werden. Der Seewinkel wird dann neben einem unwiederbringlichen Verlust an Lebensraum auch sein touristisches Aushängeschild verloren haben. Dass ein sinkender Grundwasserpegel auf Grund des zunehmenden Wasserbedarfs der Landwirtschaft zu den Ursachen für diese dramatische Entwicklung gehört und hier dringender Handlungsbedarf besteht, liegt auf der Hand.
Mitarbeiter*innen von BirdLife Österreich betreiben seit Jahrzehnten vogelkundliche Feldarbeiten im Seewinkel. Dass mit dem Verschwinden vieler Lacken auch zahlreiche wichtige Brutplätze für die Wasserund Watvögel verloren gingen, ist daher eindrücklich dokumentiert. Zusammen mit dem Nationalpark Neusiedler Seewinkel werden derzeit auf dieser Wissensbasis Vorschläge für die dringlichsten Sofortmaßnahmen ausgearbeitet und den politisch und administrativ Verantwortlichen kommuniziert. Im kommenden Heft von „Vogelschutz in Österreich“ hoffen wir, Ihnen neben einer ausführlicheren Darstellung der jüngsten Entwicklung und ihrer Ursachen auch vom Beginn der Umsetzung dieser Maßnahmen berichten zu können. Es gibt Hoffnung, da die politisch Verantwortlichen zum ersten Mal die Zeichen der Zeit erkannt haben und gewillt sind, Aktivitäten zu setzen.
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