Auf einer Alm im Tiroler Lechtal wurde Mitte Juli, nach einer langanhaltenden Schlechtwetterperiode mit Starkniederschlag, ein geschwächter Schlangenadler von Urlaubenden gefunden. Vermutlich konnte der in Österreich nicht heimische Greifvogel den Talkessel nicht rechtzeitig verlassen und hat infolgedessen im Regen keine Nahrung mehr gefunden. Abgemagert auf 820 Gramm war der Schlangenadler schließlich so ausgezehrt, dass er wohl kaum länger überlebt hätte. Er wurde umgehend in den Greifvogelpark Telfes gebracht und dort unter der Expertise von Mathias Premm zuerst mit Brei, später mit Fleisch wieder aufgepäppelt.
Gemeinsame Bemühungen
Nach etwa drei Monaten in Gefangenschaft hatte sich das Gewicht auf 2320 g fast verdreifacht. Nun stand auch fest, dass es sich bei dem Tier um ein Weibchen handeln dürfte. Erst wenige Tage vor der geplanten Freilassung machte die Info über den Schlangenadler innerhalb der Orni-Szene die Runde. Der Tiroler Vogelkundler Patrick Mösinger besuchte den Vogel im Greifvogelpark Telfes und informierte BirdLife Österreich. Gemeinsam mit Petra Sumasgutner von der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle Grünau im Almtal der Universität Wien und den Greifvogelexperten von BirdLife organisierte Mösinger die Besenderung des Vogels innerhalb weniger Tage.
Durch den persönlichen Einsatz aller Beteiligten und die unkomplizierte Zusammenarbeit konnte gerade noch rechtzeitig ein geeigneter Sender zur Verfügung gestellt sowie ein passender Kernring der Vogelwarte abgeholt werden. Die Freilassung des Vogels musste zudem noch bei geeignetem Zugwetter mit guten Thermikbedingungen erfolgen.
Patrizias Freilassung
Am 20. Oktober war es so weit: Der nun wieder gesunde Schlangenadler wurde beringt, besendert und, auf den Namen Patrizia getauft, bei Gries am Brenner freigelassen. Nach einer kurzen Begrüßung durch die ansässigen Krähen sowie Mäusebussard, Sperber und Steinadler setzte sich die Schlangenadlerdame etwas orientierungslos in eine Fichte. Entgegen allen Erwartungen zog sie nicht sofort Richtung Süden, sondern bezog bis zum Morgen des 22. Oktober ihr Quartier in einem Mischwald in unmittelbarer Nähe des Freilassungsorts. Dann aber hatte sie genug Kraft getankt und brach Richtung Südwesten auf.
Obwohl sie bewusst am Brenner ausgelassen wurde, um ihr einen komfortablen Weg nach Süden vorzugeben, zog sie quer durch das Hochgebirge. In mehreren Tagesetappen überflog sie die Zentralalpen und nächtigte durchwegs in erstaunlichen Höhen. Der höchstgelegene Schlafplatz lag dabei in einer Felswand der Hinteren Plattenspitze inmitten von Gletschern in den Stubaier Alpen auf ca. 2800 Meter. Aktuell zieht sie über das Vetlin und den Comer See in Richtung Poebene.
Was wir uns von der Besenderung erhoffen
Die Besenderung von Patrizia sollte einerseits helfen, den Erfolg der Rehabilitation zu überprüfen. Werden kranke Vögel in menschlicher Obhut gesund gepflegt, ist es trotz der umfangreichen Bemühungen nicht möglich, die Selbständigkeit und Überlebensfähigkeit gesichert festzustellen. Wäre sie nach der Freilassung noch einmal in Schwierigkeiten geraten, so hätten uns die GPS-Daten ermöglicht, rechtzeitig einzuschreiten.
Andererseits sind die gelieferten Daten, nachdem sie den Start in ihr zweites Leben offenbar erfolgreich meistert, eine wichtige Grundlage für die Erforschung und den Schutz der Art. Die Bestände des Schlangenadlers in Europa erholen sich aktuell, nach einer starken Bestandsabnahme vor allem im 19. Jahrhundert, und die Art breitet sich, auch durch den Klimawandel begünstigt, weiter nach Norden aus.
Fotos © Patrick Mösinger
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