Die in der Tonhöhe absteigende und langsamer werdende Ruffolge des Kleinen Sumpfhuhns oder der durch Pfeiftöne unterbrochene schwätzende Gesang des Mariskensängers sind in Österreich regelmäßig nur im Schilfgürtel des Neusiedler Sees zu hören und im Frühjahr sind sie gesuchte Laute für jeden vogelkundlich interessierten Besucher. Es scheint kaum vorstellbar, dass diese Arten hier selten werden könnten, bewohnen sie doch nach dem Donaudelta das zweitgrößte zusammenhängende Schilfgebiet Europas. Dennoch zeigen Ergebnisse einer 2021 abgeschlossenen Studie eine Bedrohung für diese und andere Arten.
Daten dazu sammelten in den letzten drei Jahren BirdLife-Mitarbeiter*innen und engagierte Feldornitholog*innen im Rahmen eines LE-Projektes zum Management des Schilfgürtels. Sie stapften mit 3 m langen Stehleitern im zum Teil brusthohen Wasser und Schlamm des Schilfgürtels des Neusiedler Sees. Ihr Ziel waren über 100 verschiedene Zählpunkte, an denen mehrmals im Frühjahr alle Kleinvögel erfasst wurden. Zusammen mit im Herbst durchgeführten Habitatmessungen ermöglichten diese Erhebung Rückschlüsse auf den derzeitigen Zustand der Vogelwelt und des Lebensraums. Diese aufwändigen und anstrengenden Untersuchungen waren Teil eines umfassenden LE-Projektes unter der Leitung des WWFs. Ausgangspunkt der Studie war das Besorgnis erregende Auftreten großflächig abgestorbener Schilfgebiete, die durch unsachgemäßen Schilfschnitt oder Alterungsprozesse entstanden sind. Es wurde der aktuelle Zustand des Habitats und seiner Vogelfauna genauer untersucht. Unter Einbindung der Schilfverarbeitungs-Betriebe und Grundbesitzer wurden daraufhin mögliche Verbesserungsmaßnahmen für dieses Habitat erarbeitet.
Alarmierende Ergebnisse
Die Ergebnisse bestätigten leider unsere düsteren Vorahnungen auf alarmierende Weise. Für sieben erfasste Rallen- und Singvogelarten war ein Großteil des Schilfgürtels bereits zu überaltert und die Röhrichtgebiete zeigten Charakteristika, die sich negativ auf das Vorkommen der Arten auswirken. Eines der untersuchten Merkmale davon ist „Bruchschilf“. Das sind in einer Richtung zusammengebrochene Röhrichtbestände, die für alle Arten ein undurchdringliches, bis zu ca. 1 Meter hohes, mattenartiges Dickicht bilden, das kaum mehr Nachwuchs von jungen Halmen ermöglicht. Nach unseren vorsichtigen Schätzungen findet sich auf ungefähr 50 % der Fläche (!) des gesamten Schilfgürtels diese für alle Arten unattraktive Habitatstruktur.
Überaltertes Schilf
In den 1990er Jahren war der Alterungsprozess der Schilfgebiete noch kein Problem für die Schilfvogelarten. Im Gegenteil, „Altschilfbewohner“, wie Mariskensänger, Kleines Sumpfhuhn und Rohrschwirl waren am häufigsten in den ältesten (meist ca. 20 Jahre alten) Bereichen des Schilfgürtels vorzufinden. Jetzt ist der Alterungsprozess jedoch noch weiter fortgeschritten und selbst für diese „Altschilf-Spezialisten“ werden mehr und mehr Schilfgebiete unbewohnbar. So hatte z. B. das Kleine Sumpfhuhn, eine europaweit geschützte Art, in den 1990er Jahren am Neusiedler See eines der weltweit größten Vorkommen von bis
zu 20.000 Paaren. Aktuell ist die Population auf nur mehr 4.000 Brutpaare gesunken.
Das angehäufte Altschilf, sowohl unterhalb als auch oberhalb der Wasseroberfläche, bildet das Endprodukt eines Prozesses, der bereits vor mehr als 40 Jahren begonnen hat. Eine zentrale Maßnahme zur Verbesserung des ökologischen Zustands der Schilfbestände wäre es, die Anhäufung von Biomasse durch Schilfernte oder Abbrennen zu reduzieren und so das Schilfsterben zumindest zu verlangsamen. Leider erschwert die Klimaerwärmung die Ernte von Altschilfbereichen. Während früher schonend auf dickem Wintereis geschnitten wurde, war dies in den wärmeren Wintern der letzten zwei Jahrzehnte nicht mehr möglich. Ein Schnitt ohne Eis der meist im tieferen Wasser liegenden Altschilfgebiete kann jedoch zu schweren Schäden an den Schilfrhizomen, also den waagrecht im Boden wachsenden Sprossachsen führen, aus denen jedes Jahr die neuen Schilfhalme wachsen. Eine Auswertung von Luftbildern belegt, dass dies das Absterben sogar auslösen bzw. beschleunigen kann.
Eine schonendere Alternative würde das kontrollierte Abbrennen von Schilfgebieten bieten. Da dies seit den 1990er Jahren gesetzlich verboten ist, müsste es erst wieder legalisiert werden. Ein zeitlich gestaffeltes, kontrolliertes Abrennen sollte sich positiv auf die Vogelbestände auswirken und BirdLife wird sich daher für ein gezieltes winterliches Brandmanagement im Schilfgürtel einsetzen. Doch die Anhäufung von altem Schilfmaterial ist nicht der einzige Auslöser für das Schilfsterben.
Wasserschwankungen und Schilf
Schilf ist eine anpassungsfähige, rasch wachsende Pflanze, die schnell Ränder von Feuchtgebieten erobern kann und am besten bei schwankenden Wasserpegeln gedeiht. Fallen Standorte am landseitigen Rand jahrelang trocken, etablieren sich dort andere Pflanzen. Ist der Wasserstand wiederum konstant hoch, so ist die Pflanze im tieferen Wasser des Schilfgürtels permanent gestresst und es kommt zu vermindertem Wachstum und beschleunigtem Absterben. Ideal sind möglichst große Wasserschwankungen. Diese wurden jedoch in den letzten hundert Jahren stark reduziert.
Die nach der Fertigstellung des Einserkanals zu Beginn der 20. Jahrhunderts bestehende Möglichkeit der Wasserstandsregulierung wurde im Jahr 1965 zu einer deutlichen Anhebung des Seepegels genutzt, die seither gleichförmigere Wasserstände bewirkte. Waren in den 1940er Jahren noch Schwankungen von 120 cm möglich wurden diese nach 1965 auf nur noch 25 cm beschränkt und erst die letzten 20 Jahre brachten wieder eine Erhöhung der Schwankungsbreite auf 40-50 cm.
Überaltertes Schilf
Es erscheint daher sinnvoll, einerseits höhere Wasserstände als beim momentanen Hochwasserregime zuzulassen und auch das zeitweilige Austrocknen des Schilfgürtels nicht als Katastrophe, sondern als Chance für die Regeneration zu sehen. Wasserschwankungen kamen auch in der Vergangenheit am Neusiedler See häufig vor. In seiner mehr als 10.000 Jahre alten Geschichte war er auch mehrfach ausgetrocknet. Überschwemmungen und Austrocknungen sind geradezu ein Charakteristikum dieses Steppensees. Dies wird leider in der gegenwärtigen medialen Diskussion vergessen, wenn laufend von „historischen“ Tiefständen des Seepegels berichtet wird.
Ein Blick auf die seit 1932 gemessenen Wasserpegel zeigt, das von 1932 -1964 der Wasserstand in mehr als der Hälfte der Jahre niedriger war als der minimale Wasserstand in der Periode nach der Pegelanhebung 1965 bis heute (siehe Abb.). Eine derzeit geplante Zuleitung von Donauwasser würde zu einer weiteren Stabilisierung des Wasserstands mit den genannten negativen Folgen führen. Außerdem besteht das Risiko, dass so ein Eingriff den Chemismus des Sees und damit den Charakter dieses salzigen Steppensees endgültig zerstört. Anstatt Fremdwasser zuzuleiten, erscheint es wesentlich vernünftiger, den Abfluss von Wasser so weit wie möglich zu verhindern und mit Hilfe von Retentionsräumen Schäden durch etwaige Überflutungen zu minimieren.
Derzeit wird das Wasser ab 115,70 über Adria im Winter und ab 115,80 im Sommer abgeleitet. Wasser, das dann verschwindet (wie in den Jahren 2013 und 2014), fehlt in folgenden Trockenjahren. Die geltende Schleusenregelung ist bereits eine Anpassung an das trockene Jahr 2003, aber mit einem weiteren Nachjustieren nach oben könnte viel politischer Druck von der Forderung nach einer Wasserzuleitung genommen werden. Es kann damit auch auf die noch immer schwierig abzuschätzenden Folgen der Klimaerwärmung auf den Wasserstand des Sees reagiert werden.
Fotos © M. Dvorak, L. Lugerbauer, E. Nemeth, A. Cimadom